Donnerstag, August 04, 2016
Es gibt Menschen, denen es schwerfällt, die Alltagssprache zu
verstehen. Dafür sollte man sie nicht verachten. Man sollte ihnen helfen.
Die Idee dazu kam aus Finnland und ist dann auf Umwegen, auch über die
USA, nach Deutschland gelangt. DER SPIEGEL schreibt darüber in seiner Ausgabe
29/2016. Die ersten Absätze des Artikels sind nach den „Leichte Sprache-Regeln“
geschrieben. Das liest sich so:
„Diese Geschichte geht um eine neue Sprache. Die Sprache heißt Leichte
Sprache. Sie ist für jeden leicht zu verstehen. Sie hat ganz leichte Regeln.
Man schreibt nur in Hauptsätzen. Man wiederholt Wörter immer wieder. Man drückt
sich nur in deutschen Wörtern aus. Wörter aus mehreren Wörtern werden mit
Binde-Strichen getrennt. Es heißt zum Beispiel Sommer-Urlaub und
Fabrik-Schornstein. Man verwendet auch möglichst den Wem-Fall. Der Wes-Fall ist
zu schwierig.
Kluge Leute haben sich die Leichte Sprache für Menschen mit Lern-Schwie-rigkeiten
ausgedacht. Aber auch andere Menschen können Leichte Sprache verwenden. Es gibt
jetzt Bücher in Leichter Sprache und Büros für Leichte Sprache. Dort arbeiten
die Übersetzer. Die Übersetzer übersetzen schwere Sprache in Leichte Sprache.
Seit März gibt es sogar schon ein Duden-Buch für Leichte Sprache. Das ist ganz
dick und ziemlich teuer. Es hat viele Seiten. Aber es ist in schwerer Sprache
geschrieben. Die Übersetzer lernen damit die Regeln von der Leichten Sprache. Die
Regeln stammen vom Netzwerk Leichte Sprache.“
Ich frage mich: Ist unsere Alltagssprache wirklich so schwer, dass sie
übersetzt werden muss?
Gisela Holtz aus Münster ist die Geschäftsführerin von dem Netzwerk Leichte Sprache.
Sie sagt: Über 40 Prozent von den Erwachsenen brauchen die Leichte Sprache.
Das bedeutet: Mehr als 20 Millionen Menschen sollen für immer auf den Genitiv
verzichten. Mehr als 20 Millionen Menschen sollen auf den Konjunktiv
verzichten. Sie sollen keine Nebensätze mehr bilden und Fremdwörter vermeiden.
Ich finde, das ist Diktatur. Das ist Sprachstalinismus. Das ist
Vergewaltigung. Aber es ist ein Geschäft. So unglaublich es klingt: Es gibt
eine Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung. „Per Gesetz sind inzwischen
sämtliche Bundesbehörden gezwungen, wichtige Informationen alternativ in
Leichter Sprache vorzuhalten.“ Und es gibt ein Netzwerk in der Bundesrepublik,
in Österreich und der Schweiz, das ein Übersetzungsmonopol hat.
Die Regeln sind unglaublich. Wir haben es mit einer fanatischen
Sprachreligion zu tun:
„Regelwidrig sind nach den
aktuell gültigen Vorschriften nicht nur Genitiv und Konjunktiv, sonder auch
Synonyme und Sonderzeichen, Verneinungen
und Passivkonstruktionen. Nach jedem einzelnen Satz muss ein Absatz folgen.
Präzise Angaben werden (hingegen) als störend empfunden. So darf es
nicht ‚14795 Menschen‘, sondern nur ‚viele Menschen‘ heißen. Und Jahreszahlen
sind ganz verpönt. Bismarck wurde nicht 1871 zum Reichskanzler ernannt, sondern
‚vor langer Zeit‘.
Der ursprünglich gut gemeinte Gedanke hat sich zu dem bösen Geist
entwickelt, den man besser in der Flasche hätte gefangen halten sollen. Jetzt
macht diese Idee vor nichts halt. „Auch öffentlich-rechtliche Medien folgen dem
Trend. Sogar die Bibel wurde schon übersetzt. Textbeispiel: ‚Engel Gabriel sagt
Maria, du bekommst bald ein Kind. Maria wundert sich. Sie sagt. Wie kann ich
ein Kind bekommen? Ich schlafe doch nicht mit Joseph‘.“
Die Liste der Auftraggeber in Sachen Leichte Sprache ist lang.
Bundestag, Bundesrat, Bündnis 90/Die Grünen, Landratsamt in München, IHK
Braunschweig, Bundesverband Windenergie haben Kompliziertes*
in Leichte Sprache übersetzen lassen. Ein – Verzeihung – Bombengeschäft. Und
das wollen verständlicherweise auch andere machen. Sie möchten von dem Kuchen,
den das Netzwerk Leichte Sprache gebacken hat, etwas abbekommen. Das scheint
auch zu klappen.
Die Firma Capito in Berlin bietet zum Beispiel für die sogenannte
Einfache Sprache einen Lehrgang mit 110 Schulstunden für 1790 Euro plus
Mehrwertsteuer an.
Aufgepasst: Hier geht es nicht um LS, „Leichte Sprache“, sondern um LL,
„Leichtes Lesen“. LL ist eigentlich nichts anderes als normale Sprache in
möglichst leicht verständlicher Form. Sie duldet auch Nebensätze, Fremdwörter
und andere No-Gos der Leichten Sprache.
Wenn sich unsere Deutschlehrer die Mühe machten, unseren Kindern ein
einfaches gut verständliches Deutsch beizubringen – gutes Deutsch findet sich
von Goethe und Schiller bis heute – dann wäre die Leichte Sprache überflüssig.
Wie wäre es, wenn wir unseren Deutschlehrern etwas mehr Geld und Zeit
für ihre Arbeit gäben? Dann könnten wir uns die Ausgaben für die Leichte
Sprache-Übersetzungsbüros sparen.
Kompliziertes* Auch
Kompliziertes lässt sich in einfachen Worten schildern. Dazu braucht man nicht
die Leichte Sprache. Man muss sich nur ein wenig Mühe machen. Wenn wir statt
„kompliziert“ „schwierig“ sagen oder „schwer verständlich“, dann verstehen uns
auch die Menschen besser, die Schwierigkeiten mit unserer Alltagssprache haben.
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